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AutorenbildAnne-Christine Straßer

Bitte nicht stören - Ich mache gerade nichts

Aktualisiert: 15. Apr. 2020


Seit Wochen gibt es kaum noch ein anderes Thema, das uns so sehr beschäftigt – oder eben gerade NICHT beschäftigt: das Corona-Virus. Während manche von uns mehr denn je arbeiten (müssen) und an ihre Grenzen gehen, erfahren viele gerade eine Art „Zwangspause“ und arbeiten deutlich weniger oder gar nicht.


Wer nicht betroffen ist von gesundheitlichen Sorgen, finanziellen Engpässen, existenziellen Ängsten, 24-Stunden Kinderbetreuung, hat laut Medienberichten ein ganz anderes "Problem": Langeweile. Mit einer Mischung aus Verwunderung und ein bisschen Neid lese und höre ich von diversen Fällen. Ich hatte schon lange keine Langeweile mehr und fühle mich meistens sehr beschäftigt. Daher frage ich mich: Wie können wir uns über Langeweile beschweren, wenn wir aus unserem Alltagstrott befreit werden? Warum haben wir nichts mehr zu tun, wenn wir keine Aufgaben von anderen auferlegt bekommen? Und habe ich vielleicht doch gar nicht so viel zu tun, wenn ich Zeit habe, über all das nachzudenken?


An diesen „freien“ Tagen haben wir nicht mehr oder weniger Zeit als sonst. Doch wir nehmen Zeit anders wahr. Sie rennt uns nicht mehr davon. Im Gegenteil, sie dehnt sich aus in eine lange Weile. Langeweile, die schwer auszuhalten ist, wenn wir ein schnelles, durchgetaktetes Leben gewohnt sind. Also flüchten wir aus diesem unangenehmen Gefühl und versuchen die ausgedehnte Weile zu füllen mit allem, was uns so einfällt – Essen, Serien, Social Media... leisten da gerne erste Hilfe. Wenn wir auch damit lange genug verweilt haben, ringen wir uns vielleicht sogar zu den wichtigen Dingen durch, die schon längst erledigt sein wollten – Papierkram, Steuererklärung, Fenster putzen... Und schon fallen uns wieder sämtliche Aufgaben ein, denen wir nachgehen müssen. Das kenne ich selbst zu gut und behaupte daher, nie Langeweile zu haben. Denn ich habe immer genügend Themen, denen ich mich unbedingt widmen sollte, müsste, könnte, möchte. So sind vielleicht die Gelangweilten besser organisiert und schieben nichts auf. Vielleicht stellen sie auch weniger Anforderungen an sich selbst, was sie machen sollten. Und so haben sie nichts zu tun.


Warum fällt uns das Nichts-Tun so schwer?


Diese Frage ist aus yogischer Sicht auch immer wieder interessant, denn in der Meditationspraxis und auch in Shavasana am Ende der Yogastunde üben wir das Nichts-Tun.


Noch immer hat dieses Nichts-Tun einen leicht negativen Beigeschmack. Wer nichts macht, gilt als faul. Je beschäftigter wir sind, desto wichtiger erscheinen wir uns und hoffen auf Anerkennung von außen für unseren Fleiß. „Von nichts kommt nichts“, „Ohne Fleiß kein Preis“, „Sitz nicht einfach nur so da!“ All diese Sätze haben wir schon gehört. Und ja, natürlich, es gibt Momente, in denen wir ranklotzen müssen - wenn wir wissen, warum wir das machen. Aber ähnlich wie die Yogastunden nicht nur aus Sonnengrüßen bestehen, die den Puls erhöhen, sondern eben auch aus der Phase der Entspannung brauchen wir auch im Leben die Momente, in denen wir doch einfach nur so da sitzen - und das aushalten.


Wie schon erwähnt, ist es manchmal schwer zu akzeptieren, die gewohnte Struktur zu verlieren, nicht mehr im vorgegebenen Takt zu tanzen. Plötzlich haben wir Zeit zu unserer freien Verfügung. Es scheint fast so, als hätte uns jemand das Steuer wieder in die Hand gedrückt und den Autopilot, der uns so vertraut ist, abgeschaltet. Und jetzt? Jetzt dürfen wir uns erinnern an das, was wir als Kind gerne gemacht haben, an das, was wir machen würden, wenn Geld keine Rolle spielte, an das, was unter den Rollen liegt, die wir tagtäglich einnehmen im Job, in der Familie, in unserem Umfeld. Er-Innern. Wer nicht nach draußen gehen kann, muss nach innen gehen.


Zwar haben wir in Deutschland keine Ausgangssperre wie in anderen Ländern, dennoch verbringen wir mehr Zeit zu Hause oder sogar in Quarantäne. Wer alleine wohnt, hat jetzt viel Zeit mit und für sich selbst. Wenn er es zulässt. Denn vieles, womit wir uns die Zeit vertreiben, treibt uns auch weiter weg von uns selbst. Es kommt mir vor, als würden wir ständig vor uns selbst wegrennen. Wer nicht beschäftigt ist, muss sich mit sich selbst beschäftigen, sich selbst wieder zuhören. Erlauben wir uns kleine Zeitfenster, in denen wir uns selbst bewusst Zeit widmen. In Stille. Ohne Radio, Podcast, Online-Seminar. Zum Nichts-Tun brauchen wir Nichts. Nur Zeit. Und die ist immer da.


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